Fake-IC aus China, und nun?
Erstellt: DL6GL, 18.02.2022, letzte Änderung 01.07.2022 |
Wer billig einkauft, zahlt oft doppelt. Wer auf Kampfpreise und Sprüche wie "We only produce the best consumer products", "We guarantee the best quality" oder "Genuine products" auf den Anbieterseiten von aliexpress.com, alibaba.com, aliradar.com oder ebay.de reinfällt, wird mit ziemlicher Sicherheit reingelegt. Das geht mit Elektronik genauso wie mit gefälschten Gucci-Taschen oder Adidas-Socken aus China. Hier beispielhaft für einen abgekündigten Operationsverstärker.
Im Zuge der Entwicklung des RMS-Millivoltmeters brauchten wir, Norbert, DG1KPN, und ich, DL6GL, einen schnellen FET-OpAmp. Wir alte Knaben erinnerten uns spontan an den LF357, den National Semiconductor 1974 als ersten Bi-FET-OpAmp auf den Markt gebracht hatte. Damals sensationell, inzwischen aber schon lange abgekündigt. Norbert hatte noch einen von ST Microelectronics aus früheren Zeiten, der sich in der Schaltung hervorragend verhielt. Ein ersatzweise eingesetzter neuerer FET-OpAmp OP604 war nur fast so gut.
Obwohl wir von vorneherein schon ahnten, dass die 10 Stück LF357N für ein paar Euro incl. Versand nur Fakes sein können, haben wir sie mal probehalber in China bestellt. Zu schön, um wahr zu sein, aber ein Reinfall wäre zu verschmerzen gewesen. Für vermutlich echte LF357 aus Altbeständen deutscher Anbieter werden 5 EURO und mehr pro Stück (!) aufgerufen.
Abb. 1: Stümperhaft hergestellter Fake LF357N aus China.
Was gleich auffällt, sind die unregelmäßigen Bruchkanten am Gehäuse und das gefälschte Logo von National Semiconductor (NSC), alles als kaum lesbarer Aufdruck. Bis 1994 war eine doppelte Schlangenlinie das Logo von NSC. Zumeist hat NSC auch einen hellen Balken zwischen Pin1 und Pin 8 aufgedruckt, s.u. Abb. 2.
Die Codierung, wenn sie denn echt wäre, würde folgendes bedeuten [1], [2]:
J | M | 3 | 9 | RV |
|
Wafer Fab Code, J = Greenock, UK | |||||
| Assembly Plant Code, M = Malacca, Malaysia | ||||
|
| Year Code, 3 = kann nur 2003 sein (seit 2011 Texas Instruments, vor 1994 anderes Logo) | |||
|
|
| Month Code, 9 = from week 52 thru week 05 | ||
|
|
|
| Die (Chip) Run Code |
Chip-Fotos mit eben diesem Herstellercode, aber ohne NSC-Logo, waren im Web auch zu finden. Im Übrigen war höchstens eine Handvoll verschiedener Herstellercodes in den Web-Angeboten abgebildet. Das können nur Fälschungen aus dubiosen Quellen sein.
Zum Vergleich ein Original LF356N von NSC aus seinen besten Zeiten, den 1990er Jahren, gleiche Assemby Plant Malacca, Malaysia, 13. Woche 1991. Das Erscheinungsbild des LF357N oben sollte also bis auf das Logo vergleichbar sein.
Abb. 2: LF356N, Original NSC aus 1991, mit altem Logo (bis 1994). Bild DG1KPN.
Eine Messung des Frequenzgangs sollte die Echtheit bestätigen oder auch nicht.
Abb. 3: Messanordnung zur Aufnahme des Frequenzgangs.
Simpelschaltung als invertierender Verstärker mit Spannungsverstärkung 10 (20dB). Mit dem Attenuator eingestellte Eingangsspannung 0,4Vpp, Ausgang 4Vpp am unteren Frequenzende 20kHz.
Spannungsverstärkung in dB: 20*LOG(Uout / Uin).
Abb. 4: Frequenzgang des vermessenen LF357N (Abb. 1).
- Erste Feststellung: es ist tatsächlich ein OpAmp, ob mit Bi-FET-Eingang, kann im invertierenden Betrieb nicht festgestellt werden.
- Zweite Feststellung: Die Frequenz bei 3dB Abfall wurde zu 440kHz ermittelt. Mit der eingestellten Verstärkung von 10 ergibt sich ein Verstärkungs-Bandbreitenprodukt, die Gain Bandwidth, (GBW) zu 4,4MHz.
- Schlussfolgerung: Eine GBW = 20MHz nach Datenblatt wird weit verfehlt. Es handelt sich um ein Fake, Made in China.
Für eine Sofortbeurteilung ist die Aufnahme des Frequenzgangs nicht erforderlich. Es genügen zwei Messungen:
- Spannungspegel bei einer niedrigen Frequenz, z.B. 20kHz, als Referenz (UREF). Dabei wird auch gleich die Aussteuerung und ggf. Übersteuerung beurteilt.
- Erhöhung der Messfrequenz, bis der Ausgangspegel auf
UREF / Wurzel(2) = UREF * 0,707 (entspricht -3dB) abgefallen ist.
Und nun? Gleich ein Fass aufzumachen, lohnt sich bei Beträgen von einigen Euro wohl nicht. Eine erst einmal freundliche Reklamation per Mail wäre der erste Schritt, war es auch hier. Der Kaufpreis wurde anstandslos erstattet. Wenn nicht, ist immer noch ein Ticket beim Betreiber des Portals und beim Bezahldienst möglich. Eine schlechte Online-Bewertung wäre auch eine Option. Wirkung aber eher fraglich, schaut man sich die o.g. frechen Angebote auf Portalen wie AliExpress und Alibaba an.
Es ist wohl so, dass hier alles vertreten ist von der Klitsche im Hinterhof bis zu respektablen Großhändlern. Und meist ist es wohl so, dass sie gar nicht wissen, was sie da verhökern, wer die Produzenten waren, wie produziert und ob und wie geprüft wurde. Egal, wenn der Markt es hergibt.
Es bleibt Rosstäuscherei. Es bleibt Betrug.
Zur Absicherung noch eine Verifizierung der Messanordnung mit einem Original TL081 von Texas Instruments.
Abb. 5: Frequenzgang des vermessenen TL081CP.
Die Frequenz bei 3dB Abfall wurde zu 320kHz ermittelt. Mit der eingestellten Verstärkung von 10 ergibt sich die GBW zu 3,2MHz. GBW nach Datenblatt: 3MHz. Der ist echt.
Schlussfolgerung
Es lohnt sich für uns Amateure nicht, vermeintlich günstige Halbleiter wie Transistoren und Chips direkt aus China zu beziehen. Insbesondere nicht die zu unglaublich niedrigen Preisen. Sie sind nicht preiswert. Sie sind aller Wahrscheinlichkeit nach Ramsch. Misserfolg beim Einsatz nahezu garantiert.
Gänzlich kriminell wird es, wenn man sich auch nur mal kurz vorstellt, dass solche Teile etwa in lebenserhaltenden medizinischen Geräten oder in Flugzeugen unerkannt verbaut werden. Dabei ginge es nicht nur um womöglich erkennbare Defizite in den Leistungsdaten wie oben zum Frequenzgang, sondern insbesondere um nicht vorhersagbare Ausfallraten.
Also gerade eine Mahnung an den Amateur-Nachwuchs mit chronischer Flaute im Geldbeutel: Bleibt beim Händler eures Vertrauens, auch wenn es etwas mehr kostet. Eine Garantie ist das auch nicht, da gerade im Augenblick der Halbleitermarkt in Aufruhr ist. Farnell, Mouser oder DigiChip mit Apothekenpreisen müssen es aber auch nicht sein.
Einige "China-Schnäppchen" hat Jörg Bredendiek ("sprut") in [3] näher untersucht. Ergebnis: gemischt, von brauchbar bis dilettantisch zusammengeschusterter Schrott, Spezifikationen bisweilen großzügig hochgejubelt.
Referenzen
[1] http://www.chipdocs.com/manufacturers/NSC.html#top
[2] https://pdf4pro.com/cdn/device-marking-conventions-rev-c-1b99f2.pdf
[3] https://www.sprut.de/electronic/rf/gadgets.html